4 Märchenadaptionen: Fallen Queen (Ana Woods), Das Reich der sieben Höfe (Sarah J. Maas), Im Bann der zertanzten Schuhe (Janna Ruthe), Es war einmal ... ganz anders (Märchenspinnerei)
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Die fünf Arten der Märchenadaption

Märchen faszinieren die Menschheit schon seit vielen Jahrhunderten. Sie sind oft einfach gestrickt und somit leicht zu merken und weiterzuerzählen. Auch Adaptionen gibt es fast schon ebenso lange. Allein Aschenputtel wird in so gut wie jedem europäischen Land anders erzählt und Hans Christian Andersen hat einige der schönsten Grimmadaptionen geschrieben, z.B. die wilden Schwäne. Mit ihren einfachen Elementen eignen sie sich perfekt, um aktuelle Themen, Wahrnehmungen und Inspirationen zu transportieren. Um beim Beispiel von Hans Christian Andersen zu bleiben, ist fast all seinen Märchen eine tiefe Frömmigkeit gegeben, die in den Originalen nicht ansatzweise so stark hervorgehoben ist. Heute sind die Märchenadaptionen von unserem Wunsch nach Emotionen, Vielschichtigkeit und grauen Charakteren geprägt. Ein wunderbarer Mix von Altbekannten (und Altgeliebten) und Aktualität.

 

In der Märchenspinnerei haben wir uns darauf geeinigt, überwiegend moderne Adaptionen von altbekannten Märchen zu spinnen. Grob lassen sich Märchenadaptionen also schon mal einteilen in solche, die in einer märchenhaften Welt bleiben wie Fallen Queen von Ana Woods oder Das Reich der sieben Höfe von Sarah J. Maas, und solche, die in der Realität verankert sind, sei das die Moderne, ein anderer Kulturkreis oder gar eine historische Epoche. Darüber hinaus gibt es aber noch fünf weitere Ansätze, die ich euch heute vorstellen möchte.

1. Die Neuerzählung

Märchen sind oft ziemlich kurz. Die Figuren bleiben flach und lassen sich mit wenigen Worten charakterisieren: die kluge Bauerntochter, die dumme Else, das tapfere Schneiderlein. Der Plot kommt ohne Ausschmückungen zurecht. Für magische Interventionen gibt es keine Erklärung und die Logik sucht man oft sogar vergeblich. Wo kommt zum Beispiel das kleine Häuschen her, das Brüderchen und Schwesterchen beziehen und das nie jemand aufsucht?

Märchenfiguren machen einfach, was sie wollen und wann sie es wollen. Für kurze Gute-Nacht Geschichten oder wenn man früher vor einem Geschichtenerzähler zusammenkam, sind die Märchen gut geeignet. Heutzutage wollen wir aber oft mehr von einem Märchen. Wir wollen die Hintergründe, große Gefühle und packende Actionszenen und genau da setzen die Neuerzählungen von Märchen an.

Sie machen aus dem bekannten Märchenstoff einen vollwertigen Roman, geben den Figuren Namen und vor allem auch Motivationen und schmücken den Plot aus. Dabei bleiben sie den einzelnen Elementen des Märchens und den Beziehungen der Figuren überwiegend treu. Oft wird aber die Welt noch ausgeschmückt: Es gibt regionale politische Beziehungen, neue Plotelemente und einen eindrücklicheren Blick auf die Gesellschaft.

Beispiele: The Wild Swans (Jackie Morris), Beauty: A Retelling of the Story of Beauty and the Beast (Robin McKinley), Fallen Princess (Veronika Mauel)

Märchenadaptionen: Beauty (Robin McKinley), Dallen Princess (Veronika Mauel), The Wild Swans (Jackie Morris)

2. Eine andere Perspektive

Wir kennen die Märchen aus der Perspektive der Helden: Die armen Kinder, die in die Fänge einer bösen Hexe geraten, oder das mutterlose Mädchen, das mit seinem guten Herzen und viel Fleiß sich selbst aus seiner Situation befreit, oder auch den gutmütigen Jüngling, der in die Welt hinauszieht und sein großes Glück macht. Aber was ist mit der Hexe, deren Haus mutwillig zerstört wird und die verdammt gute Lebkuchen bäckt? Oder was denkt sich der Prinz eigentlich, der sich eine Leiche im Glassarg ins Schloss stellen will?

Genau damit beschäftigen sich die Märchenadaptionen dieser Art. Sie erzählen die Geschichte neu aus der Sicht des Bösewichts, des Love Interests oder auch völlig unbeteiligten Nebencharakteren und entdecken dabei faszinierende Facetten an den eigentlichen Akteuren, die das Originalmärchen nicht hergibt. Manche schreiben das Märchen dabei komplett um, andere folgen dem altbekannten Pfad und verleihen den Personen Tiefe, die im Märchen nicht mehr als eine Rolle sind.

Beispiele: The Six Swans (Annabeth Leong) – aus der Sicht des Königs, The Sleeping Maid in „Beyond the Briar“ (Shelley Chappell) – aus der Sicht der Dorfbewohner, die durch Dornröschens Fluch von ihren Liebsten getrennt wurden, Confession of an Ugly Stepsister (Gregory Maguiere) – aus der Sicht der bösen Stiefschwester

Märchenadaptionen: The Six Swans (Annabeth Leong), Beyond the Briar (Shelley Chappell), Confessions of an Ugly Stepsister (Gregory Maguiere)

3. Das Experiment

Oft genug liest man ein Märchen und denkt sich, was wäre eigentlich passiert, wenn die Prinzessin gar nicht auf ihre Rettung gewartet hätte, sondern sich selbst befreit hätte? Oder funktioniert Rapunzel eigentlich auch, wenn in dem Turm ein junger Mann mit langem Haar sitzt? Was wäre, wenn Aschenputtel in Wirklichkeit ein Cyborg wäre?

Mit solchen Gedankenexperimenten beginnen oft ganz andere Märchenadaptionen, die den Märchenstoff nehmen und in völlig neuer Form wiedergeben. Gerade die Genderbender Variationen sind sehr beliebt. Aber auch Versionen, in denen die üblichen Helden mehr sind als fleißige, gutherzige Abziehbilder und zum Beispiel einer ungewöhnlicher Arbeit nachgehen, fallen in diese Kategorie.

Beispiele: The Lunar Chronicles (Marissa Meyer), Aschenkindel (Halo Summers), die restlichen Geschichten von Beyond the Briar (Shelley Chappell), Thorn (Intisar Khanani)

Märchenadaptionen:; Cinder (Marissa Meyer), Aschenkindel (Halo Summer), Beyond the Briar (Shelley Chappell), Thorn (Intisar Khanani)

4. Inspiration Märchen

Häufig sind es ganz bestimmte Elemente, die uns an Märchen faszinieren, z.B. weil sie zeitlos sind, weil sie eine Botschaft in sich tragen, die uns nachhaltig beeindruckt hat oder weil sie einen unglaublich coolen Twist haben. Die Geschichte von der Schönen, die sich in das unansehnliche Biest verliebt, hat alleine bestimmt tausend verschiedene Adaptionen ins Leben gerufen. Auch Aschenputtel, die Urgestalt des fleißigen Mädchens, das am Ende belohnt wird, ist in unzähligen Geschichten erneut aufgetaucht und nicht immer sind diese noch als Märchenadaptionen erkennbar.

Die Geschichten haben oft nur noch wenig mit dem Rest des Märchens zu tun. Der Film Beastly zum Beispiel hat außer der Grundidee und der Deadline recht wenig mit dem Original zu tun, was nicht nur am Setting liegt. Schließlich geht es in dem Film mehr um die Charakterentwicklung des Biests, als um das Mädchen, was das Biest lieben lernen muss. Ein ganz anderer Fokus eben. Manchmal nimmt diese Adaption aber auch nur einen Aspekt des Märchens (einen Namen, eine Figurenkonstellation, eine Botschaft) und entwickelt diese zu etwas ganz eigenem. Auf jeden Fall kommen dabei interessante Geschichten heraus, die uns immer ein wenig an das geliebte Originalmärchen erinnern.

Beispiele: Straßensymphonie (Alexandra Fuchs), Rosen und Knochen (Christian Handel), Rotkäppchen und der Hipsterwolf (Nina MacKay), Alice in Zombieland (Gena Showalter)

Märchenadaptionen: Straßensymphone (Alexandra Fuchs), Rosen & Knochen (Christian Handel), Rotkäppchen und der Hipster Wolf (Nina MacKay), Alice in Zombieland (Gena Showalter)

5. Die Neuinterpretation

Schlussendlich gibt es noch die sogenannte Neuinterpretation. Dabei wird das Originalmärchen als grober Leitfaden genommen und möglichst viele der Elemente umgesetzt, allerdings in einem gänzlich anderen Setting. Da wären also unsere modernen Märchen aus der Märchenspinnerei oder ähnliche Umsetzungen. Aber auch Märchen, deren Inhalte ins alte Rom oder mit einem Mal nach Japan versetzt wurden, fallen in diese Kategorie. Dabei müssen nicht unbedingt alle Elemente des Originals umgesetzt werden. Auch der Plot muss nicht dem altbekannten Pfad folgen, schließlich will man ja überrascht werden, aber das Märchen sollte schon gut erkennbar sein.

Beispiele: Hollerbrunn (Tina Skupin), Meerschaum (Anna Holub), Briar Rose (Jane Yolen), Kindsräuber (Nora Bendzko)

Märchenadaptionen: Hollerbrunn (Tina Skupin), Meerschaum (Anna Holub), Briar Rose (Jane Yolen), Kindsräuber (Nora Bendzko)

Egal ob Neuerzählung oder lustiges Experiment, im Großen und Ganzen lässt sich jede einzelne Adaption auf die elementare Frage „Was wäre, wenn …?“ runterbrechen. Wenn du wissen willst, wie ich das Grimm-Märchen „Die zertanzten Schuhe“ in meiner Adaption „Im Bann der zertanzten Schuhe“ umgesetzt und welche Elemente ich übernommen habe, kannst du in folgendem Artikel nachlesen:

Adaption eines Märchens anhand „Im Bann der zertanzten Schuhe“

Anmerkung: Dieser Artikel ist in einer früheren Form bereits im Märchensommer auf dem Blog Random Poison erschienen.

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